Die Kuren im Ostseeraum

DIE KUREN IM OSTSEERAUM
Zusammenfassung von

Quelle: Vladas Žulkus. DIE KUREN IM OSTSEERAUM
Опубликовал: Deli2 , Создано: Nov-01-2007


      
       Der Autor erkennt an, dass in diesem Buch nicht alles bis zur letzten Konsequenz ausgeführt ist, und manche Erscheinung nur mit wenigen Strichen skizziert werden, sowie dass hier und dort noch das eine oder andere Problem besteht, denn vieles zur kurischen Vergangenheit befindet sich noch im Erforschungsstadium. Zweifelsohne wird dieses Buch und seine Gedanken auch Kritik und Diskussionen hervorrufen. Der Autor kann und will das nicht verhindern, denn ihm ist klar, dass diese Studie nicht das Ende des Weges ist, sondern nur einige Schritte auf dem Pfad der Erforschung der kurischen Stämme. Dieses Buch richtet sich an Studierende der Archäologie und der Geschichte, die Lehrveranstaltungen über die Kultur, Gesellschaft und Stammesgeschichte der Balten verfolgen oder aber selbstständig diese Themen studieren.

            FORSCHUNGSGESCHICHTE UND QUELLEN

            Im Bereich der Vor- und Frühgeschichte der Kuren gibt noch keine spezielle monografische Forschung. Einer der Gründe hierfür ist, dass das alte Kurland — ebenso wie die Gebiete der Selen und Semigallen — heute auf Lettland und Litauen verteilt liegt.

      Die frühmittelalterliche Küstenkultur in Litauen wurde lange Zeit nicht als eigenständiges Forschungsobjekt behandelt: Historiker betrachteten sie als szemaitisch, die Archäologen als allgemein-litauisch. Als Begründung für diesen Umstand kann angeführt werden, dass in den sowjetischen archäologischen und historischen Wissenschaften idealisierte vereinheitlichte baltische Gesellschaften geschaffen wurden und die Kultur- und Religionsmodelle fast vollständig die Geschichte einzelner Stämme ignorierten.

      „Kuren“ waren sowohl in der litauischen als auch in der europäischen Geschichtswissenschaft sogar lange Zeit ein Synonym für Letten. Die historischen Komplikationen, in dessen Folge die Kurenstämme mit dem Gebiet des sogenannten Kurlands oder mit dem russischen Gouvernement Kurljandija (Курляндия) gleich gesetzt wurden, hatte Einfluss auch auf die Archäologie.

      Die kurische Kultur wurde im Wesentlichen verbunden mit den nördlichen Kuren oder mit der im frühen Mittelalter kolonisierten Kultur der Liven. Diese Auffassung beeinflusst auch die Tradition der litauischen Archäologie, Fundorte den Litauern zuzurechnen, dabei ethnische und politische Auffassungen zu vermischen und zu ignorieren.

      Bei der Erforschung der Kuren wurden verschiedene Stereotype vermischt, die in der Archäologie der Balten entstanden waren. Eines davon behauptet, dass im Eisenzeitalter die äußere Einflüsse überhaupt nicht existiert hätten oder die Entwicklung der baltischen Stämme nur minimal beeinflusst hätten. In der Völkerwanderungszeit der zwingt aber das archäologische Material (sowohl die älteren Funde als auch neuere Ausgrabungen), die Einflüsse von Migrationen auf Kuren und andere Westbalten wahrzunehmen. Im Buch wird auf die traditionelle Behauptung von der frühmittelalterlichen Einzigartigkeit der baltischen Stämme eingegangen und diese These weitergedacht.

      Mehr Aufmerksamkeit als in den gängigen Arbeiten zur Archäologie der baltischen Staaten wird in diesen Studien der Stammesgesellschaft und ihrem Lebensstil gewidmet. Diese Forschungen stützen sich auf die in den letzten Jahrzehnten in Lettland und Litauen erforschten Relikte der kurischen Vergangenheit: Gräberfelder, Burgwälle, Wohn- und Kultorte.

      Grundlage dieses Buches bilden archäologische Funde; schriftliche, historische Quellen sind als wichtige, jedoch nur zweitrangige, Quellen genutzt worden.

      DIE WESTBALTEN IN DEN ERSTEN JAHRHUNDERTEN NACH CHRISTUS

      Die große Ähnlichkeit in den Bestattungsbräuchen im westbaltischen Raum einerseits und auf Gotland andererseits sowie die umfangreichen Beziehungen zwischen diesen Regionen lassen vermuten, dass sie in der Latčne-Zeit sowie der frühen römischen Kaiserzeit einen gemeinschaftlichen Kulturkreis bildeten. Neue Forschungsdaten widerlegen die Theorie einer gleichmäßigen Entwicklung der baltischen Kultur in der Eisenzeit und sprechen vielmehr darüber, dass die Westbalten während der Migration aus Skandinavien zur römischen Zeit ebenfalls auch beiseite gelassen wurden. Die Übersiedler aus Skandinavien und Gotland konnten in den westbaltischen Ländern die Nah- und Fern-Migration beeinflussen.

      Die Namen der westbaltischen Stämme in der Kaiserzeit sind aus den Schriften von Tacitus, Plinius, Ptolemäus, Cassiodor und Jordanes bekannt {Veltai, Osioi, Karbones und Kotatoi, Kareotai, Saloi (Selen), Galindai sowie Soudinoi) ihre Aussagen wurden jedoch in der Forschung sehr unterschiedlich interpretiert. Höchstwahrscheinlich sind die Kareotai von Ptolemäus die Kuren. Die Osioi sind auf alle Fälle zwischen Kurland (litauische Ostseeküste) und Samland zu lokalisieren (Abb. 1).

      Die Entstehung der Kuren


      Die Kultur der Skelettgräber mit Steinkreisen in Westlitauen wird von den meisten Forschern zu den in den Analen erwähnten Kuren gezählt. Das Areal der frühen kurischen Kultur (Urkuren) umfasste zuerst die litauische Ostseeküste ab dem Unterlauf der Memel im Süden bis zu den nördlichen Gegenden am Libau-See im Norden; die südöstliche Grenze überschritt den Fluss Jūra, im Nordosten verlief seine Grenze in der Gegend des See Plateliai bis nach Reketė in Lettland (Abb. 2). In dieser Region bildeten sich nicht nur eine gemeinsame Bestattungsform, sondern auch Werkzeuge, Waffen und Schmuck.

      Der Memelunterlauf war zuerst südliche Peripherie der urkurischen Kultur, später trennte sich die Kultur am Memelunterlauf aber von den Urkuren, die Archäologen finden hier die terra Lamata.

      Ab dem 3. Jahrhundert begannen in der westbaltischen Kultur aus unterschiedlichen Gründen Veränderungen. Die Veränderungen bei der Bewohnerzahl in der westlitauischen Kultur entsprechen der demographischen Dynamik des Samlands sowie der westlichen Hügelgräberfelder- und der Un-termemel-Kulturgruppe (Abb. 3). Die Verringerung der Bevölkerung bei den Westbalten kann man mit den Wanderungen der Goten, Heruler oder Gepiden verknüpfen. Vor diesem Hintergrund ist somit um 300 n. Chr. eine bedeutende Verringerung der Einwohnerzahl auf Gotland und an der östlichen und südöstlichen Ostseeküste bemerkbar.

      Ein Teil der Bewohner der litauischen Ostseeküste migrierte im 3. Jahrhundert südwärts über den heutigen Unterlauf der Memel in Richtung Samland. Die Balten aus Samland könnten weiter nach Süden ins Territorium der Wielbark-Kultur am Unterlauf der Weichsel gewandert sein, weil die Einwohner der Wielbark-Kultur zusammen mit den südwestbaltischen Galinden und Gepiden zum Teil nach Süden übersiedelten. Der Weg der Balten südwärts ist ziemlich gut durch archäologische Funde erkennbar. Baltischer Schmuck in den spätkaiserzeitlichen Gräbern der Tschernjachow-Kultur zeigt die Bewegungsrichtung der Übersiedler an: Hirtenstabnadeln, Armbrustfibeln mit Ringgarnitur und emaillierte Erzeugnisse.

      Nach den Migrationen des 3.-4. Jahrhunderts veränderte sich die kulturelle Situation in den baltischen Ländern. Eine ganz ähnliche Situation wie bei den Westbalten trifft man im gesamten Ostseeraum an. Im 5.-6. Jahrhundert verschwanden einige Werkzeug- und Waffentypen sowie bestimmte Schmuckstücke, anderseits erschien eine erhebliche Menge von neuen Fundtypen. Die neuen Fundtypen, die im 5. Jahrhundert auftauchen, sind unterschiedlicher Herkunft und hatten zumeist keine baltischen Wurzeln. Der größte Teil dieser „Importe,, wurde in den westbaltischen Gebieten gefunden. Meist haben diese Materialien Analogien im Donau-Gebiet und auf dem Balkan, es gibt aber auch Erzeugnisse hunnischer, keltischer oder skandinavischer Herkunft.

      In den komplizierten Prozessen der Stammesgenese sind sowohl fremde Einflüsse als auch lokale Migrationen erkennbar. Daher formierte sich die Eth-nizität der Südkuren zu dieser Zeit aus Autochthonen, aus Gruppen der aus den Völkerwanderungszügen wiederkehrenden kurischen Krieger, aus Menschen kurischer Herkunft vom Mittellauf des Flusses Jūra, aus einer Menschengruppe vom Unterlauf der Memel und wahrscheinlich aus Nordgermanen. Im 6.-7. Jahrhundert wird die Formierung der Stammesterritorien bei den Balten angesiedelt (Abb. 4), aber fast genau im selben Zeitraum können Lücken in der kulturellen Kontinuität festgestellt werden.

      Kurland und seine Territorien
      Ab dem 7. Jahrhundert vereinigten sich das Gebiet des vormaligen Streinkreisgräberkultur und die verwandte Kultur nördlich von šventoji bis zur Gegend nördlich des Libau-Sees. Zusammen markierten sie das Stammesterritorium der Kuren.

      Deutliche Unterschiede lassen sich anhand der Ausgrabungen der Gräberfelder der Kuren und ihrer Nachbarn feststellen: Demnach unterschieden sich die Kuren zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert von den benachbarten Stämmen zuallererst durch ihre Bestattungssitten. Die Kuren verbrannten ihre Toten und bestatteten sie in Gräberfeldern. Ebenso verbrannten die südlichen Nachbarn der Kuren — die Prussen – ihre Toten. Semigallen und Szemaiten bestatteten ihre Toten, ohne sie zu verbrennen.

      Im 8.-9. Jahrhundert gab es ständig verschiedenartige Territorialkämpfe zwischen Liven und Kuren, bis die Kuren im 10. Jahrhundert den Fluss Tebra überschritten, schon im 11. Jahrhundert an der Mündung der Venta waren, die Liven aus den wichtigsten befestigten Punkten vertrieben und die Landgebiete bis zur Bucht von Riga kontrollierten. Im 12. Jahrhundert lebten oder kontrollierten die Kuren über das Territorium von der Memel-Fluss bis zur Bucht von Riga, in einem bis zu 100 Kilometer breitem Streifen von der Ostsee nach Osten (Abb. 5).

      Anhand der archäologischen, historischen und linguistischen Informationen ist es möglich, die verschiedenen Landschaften der Kuren auf Landkarten zur lokalisieren. Fünf solcher Landschaften wurden – ohne Angabe ihrer Namen in der Mitte des 9. Jahrhunderts erwähnt.

      Das Territorium der einzelnen kurischen Gebiete war von sehr unterschiedlich Größe – von einigen Hunderten bis zu Tausenden Quadratkilometern. Im einzelnen gab es folgende Landschaften: Pilsats – mit ca. 200 qkm Größe; Megowe und Duvzare – etwa jeweils 500 qkm; Ceklis – ca. 2500 qkm, Bihave-lank (Pamarys-Piemare) – etwa 1250 qkm; Ventava – um 600 qkm, Bandava über 1600 qkm, Vanema über 4000 qkm und das Territorium der Landschaft zwischen Skrunda und Semigallia betrug um 1200 qkm. Archäologisch am besten untersucht worden sind die südlichen kurischen Landschaften Pilsats und Megowe sowie ihre Nachbarlandschaft Lamata (Abb. 6-10).

Kurische Territorien
Das Gebiet Lamata um 800 n.Chr.
Gebiet Klaipeda um 800 n.Chr.
Palanga um 800 n.Chr.

      LEBENSWEISE UND ÜBERLEBENSSTRATEGIE

      Die kurischen Siedlungen hatten ganz unterschiedliche geographische Voraussetzungen. Sie lagen an der Ostseeküste und in der Nähe der größeren Flüsse, in den für Ackerbau günstigen Gegenden (Abb. 11), sowie in den stark bewaldeten Territorien, weit entfernt von Handelsstraßen und Zentren. Zum größten Teil hingen die Möglichkeiten des Lebensunterhalts und die Produktivität der Siedlungen von der Umwelt ab. Die Konzentration der Siedlungen, Burgwälle und Gräberfelder innerhalb der kurischen Territorien ist ganz unterschiedlich. In den westbaltischen Gebieten hielten sich noch bis zum 15. Jahrhundert Relikte der Territorial- und Siedlungsstruktur aus der Wikingerzeit.

      Als Primäreinheiten existierten in der Wikingerzeit die Dorfsiedlungen unterschiedlichen Typen. Die Laukai (Felder) in Litauen waren Sippenansiedlungen, die aus einzelnen Höfen bestanden (Abb. 12). Die kleinen kompakten Kaimas-Weilers stellen typische Formen der litauischen Siedlungen aus dem 1. und dem frühen 2. Jahrtausend dar. Die Weiler hatten zumeist 5-8 Höfe in einer Flur mit Gewannen verschiedener Größe. Einen besonderen Typ des Kaimas zeigt das geschlossene altprussische Dorf Caymis (Abb. 13). Eng mit der Bebauungstradition des Kaimas mit Anger hängt der kompakte und kleinste Dorftyp, der Kiemas (lettisch: ciems) zusammen. Höchstwahrscheinlich entwickelten sich die Kiemas aus der Separierung von Familien selbstständiger Freier und ihrer Verwandten aus den dörflichen Gemeinden wegen der Übervölkerung in den Dörfern. Von Neusiedlern bebaute Rodungen und kleine Ackerstücke {Banda) blieben auch in ihrem Besitz. Die Besitzer dieser Äcker waren freie Leute. Die Ackergrenzen wurden mit Hilfe von Steinhaufen, Zäunen, Grenzstreifen, Bäumen und Pfosten markiert (Abb. 14). In den kurischen Gebieten werden die alten Äcker anhand archäologischer Spuren verfolgt.

      Die Dörfer und kleinen Burgkomplexe waren auf unterschiedliche Weise mit den ökonomischen Mikroregionen verbunden. Die kleine territoriale Vereinigungen der Kuren in einzelnen kurischen Landschaften, wurden in den schriftlichen Quellen manchmal als Burggebiete (und als Borchsukungen, lateinisch: castellaturae) bezeichnet. Das Territorium der Burggebiete war von unterschiedlich Größe. Die Burgen mit ihren Nebensiedlungen und Heiligtümern bildeten Zentralorte verschiedener Prägung.

      Die kleine Burgen, Kleinadelssitze, dienten als Verwaltungszentren; manche von ihnen waren Zentren der kleinen territorialen Vereinigungen, andere Bestandteile großer Burggebiete. Die Burgsiedlungen waren organisierter und strukturierter als die Dörfer. Einige von ihnen hatten eine mehr oder weniger komplizierte Straßenstruktur. Der größte Teil der Burgsiedlungen ging zusammen mit den Burgen unter, aber mehrere Siedlungen überlebten und beein-flussten die Entwicklung der sogenannten Straßendörfer.

      Im Gegensatz zur Dörfern konnten die Zentralorte nicht ohne Außenbeziehungen existieren, sie brauchten das Hinterland und beeinflussten dieses. In den Burgen der kleinen Zentralorte saßen niedere Feudale, die ein wichtiges administratives Kettenglied in der Hierarchie bildeten. Die Herrscher der kleinen Burgen konnten Verwalter der Burggebieten werden oder einen noch höheren Stand erreichen.

      Die Ökonomie der Nebensiedlungen der kleinen Zentralorte war agrarisch ausgerichtet mit einer gut entwickelten Viehzucht. Die Wirtschaft solcher Siedlungen trug keinen Selbstversorgungscharakter, auf der anderen Seite war der Umfang handwerklicher Produktion nicht so groß, dass er eine bedeutende Rolle in der Wirtschaft der gesamten Landschaft spielen konnte. In solchen Zentralorten mit geringerer Bedeutung, in denen sich kleine Siedlungen, Heiligtümer und Thingplätze befanden, können auch kleine, unregelmäßig stattfindende Märkte vermutet werden.

      Die Siedlungen vom Kiemas- und Kaimas-Тур sind – am ökonomischen Grad bemessen – zwischen den Dörfern vom Laukas-Тур und den kleinen Burgkomplexen einzuordnen. Die in der Nähe von den Handels- und Hand- Werkszentren liegenden Siedlungen vom Kiemas- und Kaimas-Тур waren stärker von diesen Zentren abhängig, während die Wirtschaft anderer Dörfer noch den Selbstversorgungscharakter bewahrte.

      In Kurland existierten bereits im 9. und 10. Jahrhunderts Zentren, die aus einer Burg, einer oder mehreren Siedlungen und Heiligtum bestanden (Abb. 15, 16); jedoch dominierten in solchen Komplexen ganz oft mächtige Burgen. Viele dieser Burgen waren wahrscheinlich Verwaltungszentren und später auch Zentren der sich formierenden staatlichen Institutionen. Mehrere von ihnen könnten zu den Burgkomplexen ersten Ranges gehören (Abb. 17-23).

      Innerhalb der einzelnen Landschaften waren Gruppen von Siedlungen -Lebenskomplexe – durch ein ständiges festes Straßennetz verbunden, das in andere Landschaften führte und außerhalb Kurlands auch in die Landschaften der Nachbarstämme.

      Aus der geographischen Situation der Zentralorte geht ganz deutlich hervor, dass einige Zentralorte von höherer Bedeutung in der Mitte der Landschaft lagen, andere lagen an den Landschafts- oder Stammesgrenzen, an den Grenzen der Wildnis, welche die Stammesterritorien trennten. Die Zentralorte von höherer Bedeutung teilten als Kultzentern manchmal ihre Macht mit den anderen.

      DIE ENTSTEHUNG DER STÄDTE

Frühe Städte im 9.-10. Jahrhundert

      Nach Meinung des Verfassers darf man bei der Untersuchung der Frühstädte im Baltikum nicht nur ein einziges Modell anwenden – die Städte der westlichen und der östlichen Landschaften entstanden in unterschiedlichen sozio-ökonomischer Umfeldern zu unterschiedlichen Zeiten und hatten unterschiedliche Charakter. Die politisch-ökonomische Struktur der Landschaften in der westlichen Region der Balten war für das Entstehen und Gedeihen der Frühstädte günstiger. Die Mehrheit der früher (im 9.-10. Jahrhundert) entstandenen Frühstädte der westlichen Region (Abb. 24) waren vom Typ der Emporien und verkammen etwa im 12. Jahrhundert, nach dem Ende der Wikingerzeit (Abb. 25-28). In der östlichen Region entstanden die Frühstädte später (im 10.-12. Jahrhundert). Anfangs waren sie Verwaltungszentren, Stammzentren und befriedigten nur die Bedürfnisse des Fürsten später auch Zentren der sich formierenden staatlichen Institutionen. Sie entstanden später als die Ostseeemporien, doch historisch hatten sie größere Chancen, Kommunalstädte zu werden.

Sädte ab dem 10. Jahrhundert
Sädte im 11.-12. Jahrhundert

      Als typisches Beispiel der Entstehung einer kurischen Emporie kann Palanga in Südkurland an der Ostseeküste dienen. Die Voraussetzungen fur das Entstehen eines Handelszentrums in Palanga können mit der Tradition des Bernsteinhandels verbunden werden. Der Handelsplatz Palanga entwickelte sich in der Wikingerzeit dank des Transithandels mit Bronze, Silber, Blei, Glasperlen und Salz mit eigenem Bernstein und traditionellen baltischen Exportwaren. Um 1100 bestand Palanga aus den vier Siedlungen und einer kleinen Burg. Sehr deutliche Veränderungen in Palangas Gesellschaft und Ekonomik, von dörflichen Siedlung zum Handelsorte und zum frühstädtischen Zentrum ab 10. Jahrhundert sind dank der Forschungen in die Siedlungen und in einem wikingerzeitlichen Gräberfeld möglich.

      Um 1100 Palanga bestand aus den vier Siedlungen und einer kleinen Burg und entwickelte sich nach einem Ostseeraum-Muster (ähnlich wie Birka, Hai-thabu, Wolin) nur im verkleinerten Maßstab. Im 10. bis 12. Jahrhundert können in Palanga leicht einige Züge früher Städte erkannt werden: den entwickelten Fernhandel, die nicht-agrarische Wirtschaft und den landwirtschaftlichen Hintergrund (Abb. 29-37). Einer der wichtigeren äußeren Entwicklungszüge der Frühstadt sind die Befestigungen zum Schutz des Eigentums der Händler und der Einheimischen (mit Befestigungen wurde zwei Siedlungen umgeben).

      Die Resultate der Erforschung des Hinterlandes von Landschaft Megowe im südlichem Kurland waren ebenso unerwartet. Unerwartet war, dass nicht alle Gräberfeldern der Landschaft dem selben Rhythmus folgten, sondern nur einige in der Nähe von Palanga. Das Material der Gräberfeldern des nördlichen Teils zeigt, dass das ökonomische Leben der anderen Siedlungen mehr durch den Zentralort der Nachbarnlandschaft beeinflusst wurde. Normalerweise bestand das Hinterland des Hauptzentrum der Landschaft aus den Agrarsiedlungen der Landschaft selbst. So ist es durchaus möglich, dass die einzelnen Landschaftsgrenzen nicht immer statisch waren, sondern flexibel.

DIE WEGE DER EUROPÄISIERUNG

      In die Kultur der Kuren der Wikingerzeit (Beerdigungsart, materielle Kultur, administrative Landesstruktur, Wikingertum, Handelsorganisation, sogar Weltsicht) sind verschiedenartige Element und Traditionen der fremden (meistens skandinavischen) Kultur (Abb. 38, 39).

      Große Bedeutung auf die Europäisierung der Westbalten hatten die ins Meer fließenden großen und kleinen Flüsse. Wie allgemein im Ostseeraum spielten sie eine große Rolle bei der Organisation von Handel und Verkehr, und waren somit die Genesis der Handelsplätze und Handelszentren.

      Die Memel befand sich zwar jenseits der Grenzen des ethnisch kurischen Areals, aber sie bestimmte zu allen Zeiten den Verkehr und Handel der Kuren mit den ostbaltischen Stämmen und war immer der zweitwichtigste Transithandelsweg nach der Düna. Am Unterlauf der Memel verbanden sich örtliche und skandinavische kulturelle Traditionen, die am Oberlauf lebenden Balten erfuhren ostslawische Einflüsse. Auch die kleinen Flüsse wie Venta, Dange, Heiligen Aa/šventoji u. a. waren sehr wichtig und beeinflussten einen großen Teil der kurischen Wirtschaft. Ein oder mehrere Dutzend Kilometer dieser Flüsse können als schiffbarer Verkehrsweg gelten. An den Mündungen der Flüsse – oder in ihrer Nähe – konnte man auch oft einen Hafen vermuten.

      Die in die Ostsee fließenden Flüsse bedeuteten eine Art Tor nach Europa. Die Flüsse verbanden zur Wikingerzeit den Ostseekulturraum mit dem Binnenkulturraum (Abb. 40-43), von ihnen gingen innovative Impulse aus.

      Die größte Schwierigkeit beim Behandeln der Frage nach baltischen Exporten an die westlichen Ostseeküsten ist die zweifelsfreie Identifizierung einiger Gegenstände als baltische. Einige Schmucksachen werden gemeinhin als Schmucksachen „östlicher Herkunft“ bezeichnet; ihre Konzentration in den baltischen Ländern ist gewiss groß genug, doch ihr Verbreitungsgebiet ist zuweilen größer als die Grenzen der baltischen Kultur.

      Gegenstände baltischer Herkunft treten im Westen nur vereinzelt auf (Abb. 44). Ein ziemlich großer Teil von Funden baltischer oder vermutlich baltischer Herkunft aus dem westlichen Teil des Ostseeraums — Südschweden, Südholstein und Dänemark – wurde schon der Öffentlichkeit zugängig gemacht, doch ein Teil davon befindet sich noch unveröffentlicht in Museen und ist noch nicht identifiziert.

      Einige Funde baltischer Herkunft erreichten den westlichen Teil der Ostsee noch zu römischer Zeit. Eine relativ große Anzahl prussischer Augenfibeln wurde auf der Insel Bornholm gefunden. Auf dieser Insel wurden auch spätere baltische Funde aus der Zeit der Völkerwanderung angetroffen. Der größte Teil der an den Ostseeküsten verbreiteten Funde östlicher Herkunft sind Ringfibeln verschiedenen Typs aus der Wikingerzeit (Abb. 45).

      Unterscheidungskriterium für die baltische Herkunft dieser Fibeln können die Bügelquerschnitte sein. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Ringfibeln mit Bügeln, die rund, oval und halbrund im Querschnitt sind, baltischer Import sind. Solche Fibeln scheinen eher für Kuren und Semigallen typisch gewesen zu sein und werden auf das 10.-13. Jahrhundert datiert. Den größten Teil der in Schweden und Dänemark verbreiteten Ringfibeln bilden kleinere Fibeln von 1,5—3 cm Durchmesser. Die baltischen und gotländischen Fibeln sind dagegen bedeutend größer.

      Den vorhandenen Analogien und ihrer Verbreitung in den baltischen Gebieten nach zu urteilen, ist der größte Teil der in der westlichen Ostseeregion gefundenen Schmucksachen kurischer Abstammung. Sie könnten als Kennzeichen der Existenz der kurischen Kriegers oder Händler ins West-Baltikum gewesen sein. Die Funde der kurischer Schmucksachen in Schleswig-Holstein, die teils sehr nahe Analogien zu südkurischen Landschaften – besonders der Umgebung von Palanga-Klaipėda – gefundenen haben, könnte davon zeugen, dass zwischen diesen beiden Regionen enge Kontakte bestanden.

DIE DISKUSSION ZUR KURISCH – SKANDINAVISCHEN BEZIEHUNGEN

      Die Balten betrieben im 5.-6. Jahrhundert einen sehr aktiven Austausch von Personen zwischen den Westbalten und den Inseln Gotland, Öland und Bornholm.

      Die skandinavischen Schriften – die wahren und glaubwürdigen – zeigt in verschiedenen Zeiträumen ungleich große schwedische und dänische Bemühungen, Kurland zu plündern, seine Territorien zu erobern, die Kuren mit Tribut zu belegen oder sie für längere Zeit anzuschließen.

      Das kurische Handeln an den skandinavischen Küsten bildet in den schriftlichen Quellen ein recht genaues Echo der skandinavischen Expansion: Erste Kunde über kurische Raubzüge existieren aus der Mitte des 8. Jahrhunderts. Ab der Mitte des 11. Jahrhunderts waren die kurischen Wikinger an den skandinavischen Küsten schon aktiver als die Schweden oder Dänen in Kurland.

      An vielen Handelswegen der Wikinger und ihren Wohnorten in fremden Kulturen sind deutliche Spuren geblieben. In Kurland die skandinavische Anwesenheit blieb jedoch schwer anwendbar. Die kurischen Bestattungsbräuche hatten in Mittelalter viele gemeinsame Züge mit den östlichen Küstenskandinaviern: Totenverbrennung, Gräberanlage, Anordnung der Grabbeilagen und selbst die Beigaben waren ähnlich (Abb. 46); in Männergräbern wurden den skandinavischen ähnliche Schwerter gefunden, Kampfäxte, Kampfmesser in dekorierten Scheiden, Miniaturbeigaben, Teile der Pferdeausrüstung, Waffen — manchmal unter Umständen zerbrochen, in den Gräbern befinden sich Miniatur-Waagen und Gewichte. Die Kuren übernahmen viele Formen und Ornamente von skandinavischen Waffen und Schmuck. Die Kuren transformierten dem ursprünglich skandinavischem Schmuck und „verkauften“ ihn wieder an die Skandinavier. Dies zeugt von nicht nur episodischen kulturellen Kontakten mittels Handel und beiderseitigen Wikingerzügen, sondern von einem lang andauernden und recht stabilen Kontakt. Im Kontext nordgermanischer Einflüsse kann man das Auftreten der runden und ovalen Wehranlagen aus Stein in Kurland erklären (Abb. 47). In der vermuteten Wikingerkolonien der lokalen materielle Kultur, sogar der Weltsicht war der skandinavische Stempel aufgedrückt (Abb. 48).

      Der politische Kontext der kurisch-skandinavischen Beziehungen im 8.-12. Jahrhundert ist unklar. Im Gegensatz zur verbreiteten Meinung, dass in verschiedenen Perioden ein Teil Kurland nur bedingt von den Skandinaviern abhängig war, wird eine andere Interpretation der kurisch-skandinavischen Beziehungen vorgeschlagen. Für die Wikingerzeit kann man sogar wagen, kurische Landschaften als Provinzen Schwedens und Dänemarks zu bezeichnen.

      DIE GESELLSCHAFT

      Die Rekonstruktion der baltischen Gesellschaftsstruktur am Vorabend der litauischen Staatsbildung ist ziemlich schwer. Zuallererst, weil die vorhandenen archäologischen Daten ungenügend sind. Zweite Ursache ist, dass erst vor kurzem angefangen wurde, das Material aus den Gräberfeldern mittels vergleichender statistischer Methoden zu analysieren. Eine dritte Ursache versteckt sich darin, dass es sich in der litauischen Archäologie um regionale Probleme der verschiedenen Stammeskulturen dreht. Vierte Ursache: litauische Altertümer sind noch unzureichend datiert, und präzise Datierung ist für die Erfassung der kleinen Mikroveränderungen zwingend notwendig.

      Die Bildung einer differenzierten Gesellschaft hatte auch eine bestimmende Bedeutung für die Wirtschaftsentwicklung. Die wirtschaftlichen Bedingungen der Balten waren unterschiedlich während der Wikingerzeit. In Kurland, wo flache Moräneebenen vorherrschten, genauso wie in Schalau und der Landschaft Lamata am Unterlauf der Memel, gab es wenige für den Ackerbau geeignete Böden – hier herrschten Wälder vor, die Weiden waren weniger zahlreich. Stark bewaldet waren die Gebiete der Sudauer und Prussen. In Mittellitauen, bei den Auksztaiten, waren die Bedingungen für den Ackerbau ebenfalls ungünstig, doch hier gab es verhältnismäßig viele Weiden. Die besten Voraussetzungen für den Ackerbau hatten Semigallen, Szemaiten, Litauer und Latgallen.

      Mit den Intensivierung der Agrarwirtschaft im Ostseeraum zwischen 500 und 1000 n. Chr. wurde Roggen als Kulturpflanze in den Ländern der Germanen, Skandinavier und Westbalten eingeführt. In den baltischen Ländern ist eine Zunahme des Roggens ab dem 10. Jahrhundert zu verzeichnen.

      Funde von Hakenpflug- und Zocheresten des 7. bis 11. Jahrhunderts zeigen den Aufschwung der Agrarwirtschaft. Aus dem Baltikum sind etwa zwanzig solcher Funde bekannt. Die meisten Funde konzentrieren sich auf Latgallen und den Dünaunterlauf, nur eine Fundstelle finden wir in Ostlitauen. Die Verbreitung der Ackergeräte und der damit verbundenen Dreifelderwirtschaft ist nicht zufällig. Zwischen dem 11. und dem 12. Jahrhundert erreichte die Dreifelderwirtschaft die ostbaltischen Länder, Semigallen und Latgallen, und etwas später die litauischen Landschaften und die Ostslawen.

      In Ostlitauen, wo die Bedingungen für die Landwirtschaft besser und Potentiale für bearbeitbares Land größer waren sowie die Einwohnerdichte kleiner als in Westlitauen, war man für lange Zeit – bis zum 12.-13. Jahrhundert — mit der extensiven Landwirtschaft zufrieden. Im Westen – den Ländern der Kuren, Prussen und Semigallen — waren die Bedingungen im Gegensatz dazu schlechter und regten Innovationen an.

      Im frühen Mittelalter war die gesellschaftlich-politische Struktur der baltischen Regionen unterschiedlich. In der westlichen Region erlangte die Institution der Gefolgschaft mit ihrem Adel zu einem früheren Zeitpunkt Einfluss und war mächtiger und dauerhafter. Für die Prussen, Kuren und Esten waren nicht nur Handels- und Kriegszüge auf dem Seeweg charakteristisch, sondern auch die Vermittlung im Handel zwischen den Stämmen. In der westlichen Region entstand die sozial differenzierte Gesellschaft früher und entwickelte sich rascher.

      Die Kultur der Stämme der östlichen Region war demgegenüber im 9.-12. Jahrhundert ärmlich. Ökonomische Interessen vereinten nicht weniger die ganze Gesellschaft, sondern eher ihre oberen Schichten, die größere politische Macht besaßen als in der westlichen Region. Die soziale Spaltung war kontrastreicher. Obwohl sich die sozial differenzierte Gesellschaft hier später zu formieren begann, als in die westlichen Landshaften, erreichten diese Beziehungen einen hohen Feudalisierungsgrad – bis zum Entstehen eines litauischen Staatswesens.

      Hauptquelle für die Kenntnis die kurische Gesellschaft bis zur Ordenszeit sind die Gräberfelder. Umfassender sind die Gräberfelder der südkurischen Küstenlandschaften erforscht, deswegen wird sich bei der Rekonstruktion der kurischen Gesellschaftszüge auf die Erforschung der Landschaft Megowe gestützt.

      Bei der Bewertung der Gräberfeldmaterialien unter den Aspekten des Reichtums und des Gesellschaftsstatus herrscht die Meinung vor, dass die Beigaben mehr oder weniger objektiv den Status in der Gesellschaft der Lebenden widerspiegeln. Formal kann man die Gräber der Landschaft Megowe anhand der Beigaben in drei Kategorien einteilen: reiche, durchschnittliche und arme. Auf der Suche nach Objektivität können die Grabgruppen verschiedener Zeitperioden in verschiedenen Gräberfeldern verglichen werden, separat können Koeffizienten fixiert werden, die anzeigen, wie oft sich die diversen Artefakte wiederholen: ob reicherhaltigere Gaben oder nicht, daran lässt sich der Reichtum des Grabes ablesen. Auf diese Art kann man Daten von mehr als 700 Gräbern der Gräberfelder von Palanga, Lazdininkai, Pryšmanciai, Kretinga und Girkaliai-Ramuciai aus dem 8.-13. Jahrhundert zusammenfassen.

      In den Gräberfeldern der Landschaft Megowe machten die Gräber des mittelreichen Status ungefähr zwei Drittel aller Gräber aus. Ab dem 10. Jahrhundert nimmt ihr Prozentsatz ab. Zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert nehmen am stärksten die reichen Gräber ab und im Gegenzug stiegt der Anteil der armen Gräber. Diese Reichtums-Differenzierung in der Landschaft Megowe aktivierte sich besonders ab dem 10. Jahrhundert.

      Die spezifischen Beigaben legen die Annahme nahe, dass sich differenzierende Gesellschaftsteile – „Bauern“ und „Krieger“ – entstanden. Man kann leicht feststellen, dass der prozentuale Anteil der Gräber der „Bauern“ und der „Armen“ von Megowe sich entsprechen, während die Gräber der Reichen abnahmen. Es ist kein Zufall, dass ab dem 8. Jahrhundert die Gräber ohne Waffen („Gräber der Unfreien“) ebenso wie die der „Bauern“ zunahmen. Man kann vermuten, dass eine immer größere Zahl auch der Unfreien das Land bearbeitete.

      Die „Kriegergräber“ weisen spezifische Beigaben auf: Schwerter, ihre Scheiden oder Scheidenbeschläge, Kampfmesser und -äxte, Speerspitzen.

      Aus der Statistik lässt sich sehen, dass in Megowe die „unbewaffneten“ Männergräber konstant zunahmen und dass dieser Prozess der Gräberkurve der „armen“ Gräber entspricht. Die Unfreien waren augenscheinlich nicht immer arm, unter ihnen traf man auch auf die reichsten Handwerker und sogar Händler.

      Zeichen für die Zuordnung als Händlergrab sind Feinwaagen, mit welchen Gewicht und Wert der Waren festgestellt wurde (Abb. 49). Der Großteil Gräber mit Waagen und Gewichten in Litauen wurde aus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts gefunden, eben in den südkurischen Gebieten. Die meisten „Händlergräber“ in Palanga konnten auf 11. und 12. Jahrhundert datiert wer den. Die Erforschung der Beigaben dieser Gräber lässt an dem Stereotyp vom reichen, bewaffneten (Abb. 50), Silber geschmücktem Händler zweifeln. Es zeigte sich, dass nicht alle Gräber mit Händlerattributen reich waren, in manchen von ihnen befanden sich keine Waffen. Also könnte man meinen, dass zwischen den wenigen Händlern des 10.-12. Jahrhunderts nicht nur Trennungen im Reichtum sondern auch im gesellschaftlichen Status zu sein pflegten. Anhand der vorhandenen Daten – ohne die Händler, die feudalen Bedürfnisse erfüllten – kann man über die sich ab dem 11. Jahrhundert entstehenden „Freien“ äußern, über eine vom Feudalen unabhängigen, wenn auch kleine Schicht.

      Es gibt keine Daten darüber, ob im 1. Jahrtausend in den baltischen Ländern eine Menschengruppe funktionieren konnte, die sich ausschließlich mit sakralen Handlungen beschäftigte. Das heidnische religiöse System war unter den verschiedenen baltischen Stämmen unterschiedlich (die Archäologie liefert Daten darüber, dass unter der baltischen Stämmen im Vorfeld der Staatsbildung keine einheitliche Ideologie und keine gemeinsame Religion existierten) und nicht einheitlich entfalt, mancherorts konnte es schon gut entwickelt und hierarchialisiert sein

      Für die Aufklärung der Frage nach dem Entstehen des privaten Besitz in der baltischen Gesellschaft liefert die Archäologie fast keine Daten. Bei den Westslawen existierte im 11. Jahrhundert noch die Dorfgemeinschaft und bis zum 12. Jahrhundert gab es keinen privaten Landbesitz, erst im 12.-13. Jahrhundert tauchten umzäunte Landstücken auf. Es liegt die Auffassung nahe, das in den baltischen Gebieten bis zum 13. nur wenige das Land beherrschten.

      Es ist auch festgestellt worden, dass die Kuren im 11 ./erste Hälfte des 12. Jahrhunderts ihren wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Höhepunkt erreichten. Genau in dieser Zeitperiode sollten hier aus den verschiedenen Landschafts- und Stammesfürsten territoriale „Könige“ und Stände entstehen.

      Bei der Gewichtung der Fakten, Argumente und Hinweise über die baltische Gesellschaft im Frühen Mittelalter muss anerkannt werden: Eine ausreichende Anzahl von Daten zeigt an, dass die Gesellschaft der Balten dieser Zeit nicht monolithisch war. Unterschiedliche natürliche Umfelder und sozi-oökonomische Bedingungen bedingten uneinheitliche Entwicklungstempi der Gesellschaft, uneinheitlicher sozialer Differenzierungsgrad sowie verschiedene Entwicklungswege. All dies ließ die Westbalten früher prosperieren und sich mit der Wirtschaft der Ostseebassins verbinden, aber beim Wechsel der Konjunktur geschah auch ihr Abstieg am Vorabend einer Staatsbildung.

      WECHSEL DES WELTBILDES BEI DEN HEIDNISCHEN KUREN

      Der Wechsel der Beerdigungsart war im frühen Mittelalter keine häufige Erscheinung. Als die Entstehung der baltischen Stämme nach der Völkerwanderung beendet war – oder bereits etwas früher – blieben die Beerdigungstraditionen im Großteil der Stammesgebiete unverändert bis zur Einführung des Christentums. Andererseits herrschte aber vor der Wikingerzeit in der Welt der Balten eine große Anzahl verschiedener Beerdigungsbräuche:

      Fremde Einflüsse aus der Völkerwanderung brachten viele kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen für die Kuren. Dennoch änderten sich die Beerdigungssitten nicht bedeutend, erst im 8. Jahrhundert tauchten in den südlichen Gebieten der Kuren zunehmend Gräber von Verbrannten auf. Zum jetzigen Zeitpunkt, nach der Erforschung aller Daten der kurischen Gräberfelder, kann man festzustellen, wie sich die Verbrennungssitte im Kurengebiet verbreitete (Abb. 51).

      Ohne Frage ist eine kardinale Veränderung in den Beerdigungsbräuchen auch mit Transformationen der Weltsicht verbunden. Eines der stabilsten Zeichen der Weltsicht war die Ausrichtung auf die Toten. Der Unterschied in der Beerdigungsrichtung (Abb. 52) wird mit einer unterschiedlichen Weltsicht erklärt.

      Die Gräber waren meist außergewöhnlicherweise in die Richtung der benachbarten Stämme ausgerichtet. Dies war so bei den „grenznahen“ Gräberfeldern sowohl bei Kuren, als auch bei Semigallen, Szemaiten, Lamata und Latgallen. Es ist leicht festzustellen, dass die Grabgruben in Richtung der Wildnis zwischen den Stämmen gerichtet sind. Ein ähnliches Phänomen wurde sowohl bei den benachbarten Liven als auch bei ostslawischen Stämmen gefunden. In Gräberfeldern an den Grenzen verschiedener Landschaften geriet die Orientierung der Grabgruben ebenso in Verwirrung. Die Gräber richten sich Richtung der Wildnis, welche die verschiedenen Landschaften oder Stämme voneinander trennte. Die Erklärung dafür sucht man in der Vorstellung der Totenwelt. Die sakralisierten Wildnis entsprechen der Totenwelt der Balten, wie man sie sich vorstellt: hinter Bergen, Gewässern, hinter den Oberläufen der Flüsse, in den Wäldern. Bei den am Meer lebenden Kuren ist, wie auch bei anderen Völkern am Meer, in der Weltanschauung die Totenwelt mit dem Meer verbunden. Im Allgemeinen hat sich durch die Ankunft der Totenverbrennung in den Gebieten der Kuren nicht viel geändert, nur auf einigen Gräberfeldern ist die klare Tendenz zu erkennen, die Gräber nach Westen zu „drehen“.

      Die Brandgräber befanden sich in den kurischen Gräberfeldern meistens getrennt von den Skelettgräbern. Es wurde festgestellt, dass die ältesten Gräberfelder an den Hängen von Anhöhen, nahe am Wasser, waren, während sie später auf den Anhöhen selbst zu finden sind.

      Den Verbrennungsbrauch, der sich von den prussischen Stämmen einschlich und dabei die Voraussetzung fur eine mögliche Besiedlung kurischer Gebiete durch die Prussen schuf, kann man auch in Kurland vermuten, zumindest im südlichen Teil, wo einige Handwerkswaren prussischer Herkunft verbreitet waren. Gräber, die prussischen Kriegern zugeordnet werden könnten, sind aber in den kurischen Gebieten unbekannt. Andererseits ist die Zeichen der kurischen Kultur in Samland besonders ausgeprägt. Wenn man die Frage angeht, ob die Kultur der Prussen eine Bedeutung bei der Verbreitung der Verbrennungssitte in Kurland spielte, kann man keinen direkten Einfluss in der materiellen Kultur finden.

      Es bleibt eine besonders wichtige Frage: Warum änderte sich die Weltsicht der kurischen Stämme?

      In den kurischen Gräberfeldern, wo einige Jahrhunderte lang reihenweise beerdigt wurde, konzentrierten sich die Brandgräber auf separate Orte, an denen vorher nicht oder wenig bestattet wurde. Zwischen Brandgräbern, die sich an die Skelettgräber anschließen, gibt es einige auf das 10. Jahrhundert datierte die zeigen, dass auch nach der Änderung der Beerdigungssitte nahe der Familienangehörigen beerdigt wurde. So lässt sich erklären, dass der Ort mancher Brandgräber mit den Gruben der Skelettgräber übereinstimmte. Anders war wo Brandgräber klar von Skelettgräbern getrennt wurden. Formal kann man hier also zwei verschiedene Beerdigungssitten feststellen.

      Die darstellende Analyse der Gräber auf dem Gräberfeld von Palanga macht es für uns möglich, einige wichtige soziale Schlussfolgerungen zu schließen. Trotz Wechsel der Beerdigungsform blieb es Sitte, gut bewaffnete Männer an einem gemeinsamen Ort zu beerdigen. Auf dem erforschten Teil des Gräberfeldes gab es allein fünf Grüppchen solcher „Kriegergräber,, mit separaten Gräbern. Alle diese Gräber, sowohl die Skelettgräber des 8.-10. Jahrhunderts als auch die späteren Brandgräber lagen vereinzelt beim südwestlichen und teilweise im zentralen Teil des Gräberfeldes. Bei wenigstens die Hälfte der Brandgräber, die sich in die Zone der Skelettgräber einfügen, handelte es sich um gut bewaffnete Männer. Etwa der Hälfte von ihnen wiederum sind reiche Gräber gewidmet. Bei der Einbürgerung des Verbrennungsbrauchs wurde die alte Tradition noch bedeutender, Gräber von Männern mit Waffen an separaten Plätzen des Gräberfeldes zusammenzulegen.

      Im 10. Jahrhundert tauchte in den Ländern der Kuren die Sitte auf, die verbrannten Toten in bis zu fünf Meter großen und unterschiedlich geformten flachen Gruben zu beerdigen. Zweifellos waren die meisten solcher Gräber Familiengräber, welche bei der Verbreitung der Verbrennungssitte eine andere Gestalt bekamen. Dies wäre schon die Entdeckung neuer innergesellschaftlicher Beziehungen und der Differenzierung nach Berufen. Solch einen eigenständigen „Beruf,, hatten zur Wikingerzeit in der kurischen Gesellschaft nur Krieger. Die in Kollektivgräbern bestatteten Männer sind zumeist besonders gut bewaffnet und bei ihnen gibt es reiche Grabbeigaben (Abb. 53).

      Um eine mögliche Beziehung zwischen den Brandgräbern und irgendwelchen sozialen Gruppierungen festzustellen wurden statistisch die Gräberfelder der Landschaft Megowe (Palanga, Pryšmančiai, Lazdininkai) ausgewertet. Kann man schlussfolgern, dass die reicheren Einwohner des südlichen Kurlands im 9.-11. Jahrhundert zwei- bis dreimal häufiger ihre Toten verbrannten als Angehörige der mittleren oder unteren sozialen Schichten. Außerdem gilt es als klar, dass die Initiatoren des Verbrennungsritus reiche männliche Krieger waren.

      Verständlicherweise waren Angehörige gehobener Schichten sowohl einflussreicher als auch dynamischer, sie waren unabhängiger von gemeinschaftlichen Traditionen. Die kurischen Vertreter der obersten und gehobenen sozialen Schichten unterschieden sich nicht nur nach ihrer materiellen Situation, sonder auch nach ihrer Mentalität. Sie konnten verschiedenartige Neuerungen initiieren.

      Der Grund für die Verbreitung der Verbrennung hätte also sozialer Art sein können. Im 879. Jahrhundert erschien eine gewichtige gesellschaftliche Gruppe, die verschiedene Neuerungen propagierte, welche schrittweise von der Gesellschaft aufgenommen wurden und die sich während der beiden Jahrhunderte, in denen sich die gefestigten Beerdigungstraditionen ändern, verfestigen. Dies vorausgesetzt, müsste man feststellen können, ob die Verbreitung der Kremation mit konkreten sozialen Gesellschaftsschichten verbunden war (Abb. 54).

      Im Zeitraum bis zur Staatlichkeit findet man in der baltischen Gesellschaft nur eine, ausreichend einflussreiche, gut organisierte, nur wenig von der restlichen Gemeinschaft abhängige Schicht: das Gefolge oder die Gefolgschaft.

      Das Auftauchen der Gefolge lässt sich schon zum Ende der Völkerwanderungszeit finden. Ab dem 10. Jahrhundert beginnt die zweite Etappe der Militärgefolgebildung. Die ausformierten Gefolge waren ab dem 10. Jahrhundert in der kurischen Gemeinschaft — wie bald auch bei den Nachbarn — zur deutlich einflussreichsten gesellschaftlichen Gruppierung herangereift. Dieser herausragend organisierte Teil der Gesellschaft hat sicherlich weltanschauliche Ansichten formuliert und einen besonderen Platz sowohl unter der Gesellschaft der Lebenden als auch der Toten eingefordert.

      Es gilt als sicher, dass sich die Bildung der Gefolge in den kurischen Gebieten mit Kriegszügen und der Einforderung von Tribut, als recht zahlreiche Beziehungen zwischen Kuren und Skandinaviern und dem sich schnell im Ostseeraum verbreitenden Wikingertum begründen lässt, also mehr mit Räubereien als mit Handel.

      Abschließend gilt es festzustellen, dass durch die Änderungen der Weltsicht im 10. und 11. Jahrhundert, die ihren Ausdruck in der Einbürgerung des Verbrennungsritus fand, durch eine Transformation der Gesellschaftsart bestimmt wurden. Das Christentum kam wenig später bei den heidnischen kurischen Ländern in eine völlig veränderte soziale Umgebung.

      ZWISCHEN HEIDENTUM UND CHRISTENTUM

      Im Vorfeld der Staatsbildung war das Heidentum eine religiöse Instanz mit eigener Struktur und traditionsreicher Organisation. Sie war recht stark und widerstand der Christianisierung, gleichzeitig war sie eine ernste Barriere für die Europäisierung.

      In den Gebieten, in denen in vorchristlicher Zeit die Sitte der Totenverbrennung vorherrschte, geschah mit der Verbreitung des Christentums nach längerem oder kürzerem Biritualismus eine Beseitigung dieses Brauchs. Ein anderes Zeichen für die Durchsetzung des Christentums ist die Absage an den Brauch, seine Toten mit reichen Grabbeigaben zu begraben sowie das Auftauchen von christlichen Attributen auf den Gräberfeldern.

      In der baltischen Gesellschaft hatten die Fürsten oft nicht nur die weltliche, sondern auch die religiöse Macht in ihren Händen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Ideologie der Fremden auf gute Voraussetzungen in den agrarischen Zentren traf, in denen die heidnischen Priester eine bedeutende Rolle im politischen Leben spielten. Die Handelszentren boten mehr Möglichkeiten für die Verbreitung der fremden Ideologie unter der einheimischen Bevölkerung. Toleranz fremden Ideologie gegenüber und wichtige einheimische heidnischen Kultzentren zusammen leben können. Selbstverständlich konnte die Toleranz nicht immer garantiert werden.

      In den Gebieten der Westbalten fand schon im 11.-12. Jahrhundert die Europäisierung während der Bildung der Protostädte und des des Handels ihren deutlichen Ausdruck, doch Möglichkeiten für direkte Kontakte zur katholischen Kirche sowie zu den Trägern der europäischen Kultur blieben ungenutzt. Bei den Ostbalten der Einfluss der Europäisierung war schwach und indirekt, trotzdem ging die Christianisierung schneller vonstatten. Sie äußerte sich in der Verbreitung der Ideologie der Byzantinischen Kirche.

      Von den westbaltischen Stämmen kamen nur die Prussen mit der westlichen christlichen Welt unmittelbar in Berührung. Die Kontakte der Kuren beschränkten sich lange Zeit auf die kaum christianisierte Welt der Nordgermanen sowie auf die Handelsplätze der Westslawen.

      Über die erste Kirche in Kurland macht Adam von Bremen nähere Angaben. Die uns heute vorliegenden Informationen sprechen dafür, dass die erste um 1069 erbaute Kirche Kurlands in Palanga vermuten werden kann. Bei der Suche nach der Lage der ersten Kirche gibt es in Südkurland noch eine Alternative. Während Palanga in den Bereichen Religion und Fernhandel dominierte, konnte die besonders günstige geopolitische Lage am Burgzentrum von Anduliai-Kretinga helfen, als Zentralplatz von Megowe in politischem Sinn, als Sitz des territorialen Fürsten, berühmt zu werden.

      Im Gebiet der Südkuren wurde 1252 die Memelburg errichtet und die Stadt Memel (lit.: Klaipėda) gegründet. Wegen ihrer günstigen Lage sollte die Stadt zum Zentrum des Bistums Kurland werden. Doch wegen der veränderten politischen Lage wurde Memel nicht zum Ausgangspunktfür für die Verbreitung des Christentums. Infolge des Krieges zwischen dem Ordern und Litauen in südkurischen Ländern nahm die Bevölkerungszahl stark ab, und die Missionsmöglichkeiten waren sehr beschränkt. In vielen Ortschaften begann man erst Anfang des 15. Jahrhundert mit dem Bau von Kirchen. Es ist kein Zufall, dass in den Relationen der Jesuiten von den noch am Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert lebendigen heidnischen Sitten und Gebräuchen an der Ostseeküste, in den Ländern der Szemaiten und Liven, berichtet wird. Als Nachfolger der alten Traditionen gab es am Birute-Hügel in Palanga ein Heiligtum aus dem Ende 14. Jahrhundert (Abb. 55). Das Heiligtum von Birutė stand sowohl den Kuren von Palanga (Seefahrer und Fischer) als auch den ab dem 15. Jahrhundert dazu gekommenen Szemaiten (Bauern) nah.

      Im archäologischen Material Litauens verschwinden im 17. Jahrhundert die Relikte des Heidentums (Abb. 56, 57), jedoch behaupten schriftliche Quellen und ethnographische Angaben, der Widerhall des Heidentums sei noch im 18. Jahrhundert auf dem Lande zu finden gewesen.

      Kuren und Prussen in der Zeit des Kulturumbruchs (1200-1400)
      Das Aufeinandertreffen der Balten auf die europäische Zivilisation im 13. Jahrhundert war sehr schmerzhaft und destruktiv. Nicht weniger unklar bleibt die Herkunft der administrativ-territorialen Systeme der Kuren als auch der Liven und der Esten, wie sie in den schriftlichen Quellen des 13. Jahrhunderts festgehalten wurden.

      Im 12. Jahrhundert – wahrscheinlich die Zeit eines entstehenden kurischen Staatswesens – konnten gleichberechtigt einige regional bedeutsame Zentren existieren; außer den wichtigen politisch-administrativen Zentren hatten die Religionszentren auch wichtigere oder wichtigste Heiligtümer.

      Die unterschiedliche Situation in den verschiedenen Regionen Kurlands lässt sich besser verstehen, wenn man sie mit Preußen vergleicht. Für die in Preußen einfallenden europäischen Ritter war der Weg durch zahlreiche prus-sische Burgen und Befestigungsanlagen versperrt. In Preußen wurde im Unterschied zu Kurland die alte örtliche Aristokratie besser in die gesellschaftlichen Strukturen des Deutschen Ordens integriert. Folglich verarmte der größere Teil der örtlichen Aristokratie. Diejenigen, die vorher als kongos der oberen Schicht angehört hatten, waren zur Ordenszeit nur noch einfache Freie. So verhält es sich auch in Kurland, wo die ehemaligen kurischen Adligen einfache freie Bauern wurden.

      Die Kolonisation Preußens ging von den südwestlichen Gebieten aus und reichte bis in die östlichen und südöstlichen Territorien. In wenig besiedelten Regionen wurden nicht nur deutsche Güter sondern auch Dörfer gegründet.

      Wiederrum anders begab es sich in Südkurland. Im 14. Jahrhundert schlug der Plan fehl, deutsche Bauern in gänzlich unbewohnte Gebiete einzuladen. Deswegen drängte der Komtur von Memel, Kuren aus den nördlichen Gebieten nach Memel oder in die Umgebung umzusiedeln. Die Wanderung dauerte das ganze 15. Jahrhundert an.

      Bei der Eroberung der Balten gab sich der Orden nicht zufrieden mit der Übernahme der wichtigeren hölzernen Burgen, sondern zur Landesverteidigung wurden in der Wildnis extra neue kleine hölzerne Befestigungsanlagen (Wildhäuser, Fliehhäuser) angelegt. Unter Ausnutzung der heidnischen Burgbefestigungsanlagen errichtete der Orden größere und bedeutendere Burgen an den gleichen Stellen. An den meisten Plätzen ersetzten früher oder später steinerne Ordensburgen die Wallburgen. So entstanden in Ostpreußen zahlreiche Burgen: Im nördlichen Teil gab es ungefähr 40 Ordens- und Bischofsburgen von denen mindestens 17 auf oder bei den Orten alter prussischer Burgen standen.

      Ordensburgen, die an alten Burgen- oder Wohnorten errichtet wurden, waren in Kurland weniger zahlreich als in Preußen (Abb. 58). Ein bedeutender Teil der — besonders der südlichen – kurischen Zentren wurde nicht zu Ordensburgen. Das lässt sich vor allem über die ehemaligen Grenzburgen sagen, die mit Abnahme der Einwohnerzahl schrittweise verschwanden. Ein Teil der nicht dauerhaften Burgen waren die Vorposten in den vom Orden beherrschten Territorien und dienten als Gegengewicht gegen die hölzernen litauischen Burgen. Anders als bei den vom Orden errichteten Burgen, wurden diese litauischen Burgen an Stelle alter, zerstörter gebaut. Die litauischen Burgen (Abb. 59) sollten die dicht besiedelten Gebiete vor den Ordenskreuzzügen schützen.

      Wegen des Kriegszustandes das Land erwirtschaftete de facto keine Produktion. Deswegen war auch der Burgenbau sinnlos, denn diese Burgen wären völlig isoliert und dem Untergang geweiht gewesen. Außer der Memelburg wurde nördlich von Preußen nur eine steinerne Burg errichtet, nämlich an der Mündung der Memel: die Windenburg. Nach dem Vertrag von Melno (1422) ging das südliche Kurland an Litauen, aber Curonia deserta und Lamata waren nicht nur im 14. sondern bis zum 17. Jahrhundert dünn besiedelte Regionen.

      Nachdem die Memelburg errichtet, bewahrte sich der Orden seine neugetauften kurischen Verbündeten und nutzte die Gelegenheit, über die Landverteilung seine Herrschaft zu stärken und auszubauen. Die Burgen der Neu-getauften (Laistai, Purmaliai) standen an strategisch wichtigen Orten.

      Es gilt als Faktum, dass mindestens die Hälfte der Ordensburgen in Preußen sowie auch einige in Kurland an den Stellen alter baltischer Burgen gebaut wurden, sodass einige Forscher meinen, dass alte territorial-administrative System habe ebenfalls überlebt. Eine Erforschung der südkurischen Landschaften zeigte, dass die alten Orte der Burggebiete auch mit Burgwällen und altertümlichen Siedlungsanhäufungen übereinstimmen. Die erwähnten Borchsukun-gen entsprechen als Zentren den Orten bedeutender Burgwälle und größerer Handwerks- und Handelskonzentrationen (Kretinga-Anduliai, Žardė, Eketė, Imbarė). Dort wo die Burgwallkonzentration höher ist, waren im 15./16. Jahrhundert die Borgsochungen kleiner; dort, wo die Burgwälle seltener und die Abstände zwischen ihnen größer waren, da waren später die Borgsochungen größer. Das alte System wurde am stärksten in Südkurland deformiert, entweder bewusst durch die Landaufteilung oder ungesteuert durch die Abnahme der Einwohnerzahlen.

      Durch die Expansion der Livländischen und Deutschen Orden in das Baltikum wurden Migrationswellen in allen baltischen Stämmen hervorgerufen.

      Nach 1260 verließen Kuren ihre Burgen und Siedlungen und migrierten in die Nachbarnländer, hauptsächlich nach Szemaiten. Merkmal der kurischen Kultur in Szemaiten sind Brandbestattungen aus dem 13.-14. Jahrhundert, die antropologische Forschungen, die Verbreitung von Orts- und Gewässernamen mit dem Wortstamm kurš-.

      Mit der Ankunft des Deutschen Ordens geschah die Anbindung der Westbalten an die europäische Kultur nicht auf dem Weg der Integration sondern der Kolonisation. Deswegen ging in den baltischen Gebieten im 13.-14. Jahrhundert keine kulturelle Transformation vonstatten, die schrittweise die alten politischen und territorialen Strukturen, sowie die örtliche heidnische Mentalität schrittweise wandelte. Vielmehr waren es starke plötzliche und impulsive sowie schwer beherrschbare Eingriffe. Die Veränderungen zerstörten die baltische politische Struktur; sie wirkten in den verschiedenen westbaltischen Gebieten uneinheitlich auf die alten territorial-administrativen Strukturen, und ebenso verschieden beeinflussten sie die verschiedenen sozialen Schichten. Deswegen geschah die Integration der Westbalten in die europäische Kultur nicht in einer einheitlichen Geschwindigkeit und auf unterschiedlichen Wegen.

      Übersetzung – Frank Wurft

Die Kuren

Hier habe ich einen interessanten Artiel gefunden, dessen Homepage es leider nicht mehr gibt.

https://archive.org/includes/donate.php?as_page=1&platform=wb&referer=https%3A//web.archive.org/web/20051226091508/http%3A//www.memelland-adm.de/Bevoelkerungsgeschichte/die_kuren.html

Die Kuren

Die kurischen Landschaften Duvzare, Ceclis, Megove, Pilsaten, Lamotina von Beate Szillis-Kappelhoff

Schon im 4. Jh. v. Chr. wurde das Memelland besiedelt. Es handelte sich um Kulturen, die, durch archäologische Funde belegt, aus der Dnjpr-Region in Weißrussland stammen. Zu der sogenannten Memelland-Kultur zählen auch die zu den indo-europäischen Baltenstämmen zählenden Kuren, die sich etwa ab 2500 v. Chr. entlang der Ostseeküste ansiedelten.

Karte des Siedlungsgebietes der Kuren

Etwa vom 2. bis 5. Jh. nach Chr. spricht man vom „Goldenen Zeitalter der Balten“, denn während dieser Periode wird eine langwährende ungestörte Besiedlung durch etwa 1000 Gräberfelder nachgewiesen, weil die Bestattungsriten während dieser Zeit unverändert geblieben sind. Die Gräber der Kuren unterscheiden sich von anderen dadurch, dass die Toten inmitten runder oder rechteckiger Steineinfriedungsringe bestattet wurden. Auch gab es keinerlei Anzeichen von Abwanderungen, Bevölkerungsverschiebungen oder von Invasionen fremder Stämme.
In der mittleren Eisenzeit, der Zeit zwischen dem 5. und. 9. Jh., veränderten sich die Lebensbedingungen der baltischen Stämme, denn von Osten und Süden her wurden sie durch die Expansion der Slawen unter Druck gesetzt, und von der Ostsee drängten Schweden und Wikinger ins Land. Die prußischen und kurischen Stämme spielten während dieser Periode die führende verteidigende Rolle unter den Baltenstämmen.
Kurische und prußische Siedlungen sind an der Art ihrer Bestattungen unterscheidbar: Die Prußen äscherten ihre Toten ein, während die Kuren ihre für sie typischen Körpergräber bis ins 7. Jh. beibehielten. Sie gebrauchten immer noch Steinwälle, inmitten denen die Gräber wabenförmig nebeneinander liegen. Erst ab dem späten 7. Jh. und dem 8. Jh. wurde die Einäscherung übernommen. Dass die Kuren sich gegen skandinavische Einfälle wehren mussten, belegen Grabbeigaben.
Ab dem 5. Jh. sind Burgberge belegt. Diese Hügelburgen wurden bevorzugt auf Steilufern oder in Gewässern auf Landzungen errichtet und mit Wällen aus Baumstämmen und gestampftem Lehm befestigt. Der Innenraum einer solchen Burg betrug zwischen einem halben und einem ganzen Hektar. Die erste urkundliche Erwähnung der Kuren stammt aus dem 9.Jh., als ein gewisser Rimbert schreibt: „Ein Volk, das Chori genannt wird und fern von ihnen lebt, war einst von den Schweden unterworfen worden. Aber es ist schon so lange her, daß sie sich erhoben und das Joch abschüttelten.“
Der Kontakt mit ihren Feinden scheint sich auch auf das Verhalten der Kuren abgefärbt zu haben, denn zwischen dem 11. und. 13. Jh. hatten sie sich zu den „Wikingern unter den Balten“ entwickelt. Obwohl sehr reich, machten sie sich wagemutig auf Beutezüge. So musste Dänemark seine Küsten sommers wie winters schützen. In einem überlieferten Gebet heißt es: „O mächtiger Gott, bewahre uns vor den Kuren.“ Chroniken des 13. Jh. berichten, dass Kuren mehrmals Dänemark und Schweden verheerten, plünderten, Kirchenglocken und anderes Gerät mitschleppten. Adam von Bremen riet allen Christen, die kurländische Küste zu meiden. Kurische Kurische Geräte, wie sie typisch für die Gegend von Memel und Kretinga sind, wurden auch in Skandinavien gefunden.
Bereits im 10. und 11. Jh. zog das reiche Kurland, das einen außerordentlichen kulturellen Aufschwung genommen hatte, beutegierige Wikinger, Schweden, Dänen und sogar Isländer an. Diese wurden aber recht häufig von den Kuren in eine Falle gelockt und im Gegenzug an deren Küsten ausgeplündert. Sogar die isländische Egilsaga beschreibt Einzelheiten aus dem Leben eines kurischen Feudalherren.
Im 12. Jh. vollzog sich jedoch eine allmähliche Wandlung, denn als die Ordensritter eindrangen, waren die südkurischen Landschaften nahezu menschenleer. Der Großteil der kurischen Bevölkerung war nach Norden abgewandert. Die Ursache lag in lange Jahre anhaltenden Niederschlägen, die zu einer Klimaveränderung geführt hatten, welche die Menschen langfristig veranlassten, ihre feuchten Wohnplätze in den Niederungen entlang der Ostsee aufzugeben und in den an sich klimatisch ungünstigeren Norden auszuweichen. Zahlreiche Ordensurkunden befassen sich mit kurischen Landschaften und geben Auskunft, dass Nordkurland besiedelt war, also auch aufgeteilt werden konnte, während die südkurländischen Landschaften als „den landen, die noch ungebuwet sin“ bezeichnet wurden. Dass der Süden Kurlands nicht gänzlich unbesiedelt war, wird auch in Ordensurkunden belegt, denn man bediente sich häufig der kundigen eingesessenen „seniores“, wenn es darum ging, Landstriche zu kennzeichnen und zu benennen.
Unter den südkurischen Landschaften versteht man Duvzare, den Küstenstrich nördlich von Palanga, die Küstenbereiche des Memellandes Megowe, Pilsaten und Lamotina, sowie die Landschaft Ceclis, die weit in das heutige Szemaiten hineinreicht. Die prußischen Schalauer bewohnten die Gegend südlich und nördlich der Memel, während die vermutlich szemaitischen Karschauer den östlichen Zipfel des Memellandes besiedelten.
Allen diesen südkurischen, szemaitischen und nadrauischen Gebieten ist gemeinsam, dass sie ab dem 12. Jh. von der Bevölkerung weitgehend aufgegeben wurden. Es hielt sich eine geringe Anzahl die Wildnis durchstreifende Menschen, die diese wirtschaftlich nutzten (Jagd, Fischerei, Bienenwirtschaft). Wenn auch durch den Abzug der Kundschaft die Absatzmärkte nahezu weggebrochen waren, so stellte die Große Wildnis für ihre Nutzer doch einen erheblichen Wert dar. Durch diese halbnomadisch lebenden Jäger blieben die vertrauten, sich an natürlichen Gegebenheiten orientierenden Landschaftsnamen erhalten und fanden sich später in Ortsnamen sowohl auf ostpreußischer als auch szemaitischer Seite wieder (Beispiel Krottingen). In vorwiegend litauischer Literatur wird versucht nachzuweisen, dass der Orden die Kuren vertrieben oder gar ausgerottet habe. Dem steht gegenüber, dass die Entvölkerung bereits vor dem Auftreten des Ordens stattgefunden hatte und dass dieses Argument schon deshalb unlogisch ist, weil der Orden die nördlichen (im heute lettischen Bereich wohnenden) Kuren am Leben gelassen hat.

Kurenfischer und Kurenkäne am Horizont

Es ist davon auszugehen, dass die nordkurische Bevölkerung nie die Besuche im südlichen Kuren-Gebiet aufgegeben hat, denn als hervorragende Seeleute kannten sie ihre alten Gründe. Schließlich auch bedeutet der Name Kure „schnell zu Wasser“. Bewohner der Kurischen Nehrung berichteten noch im 20. Jh., dass lettische Kuren bei Schlecht-Wetter Schutz im Haff suchten und bei Nehrungsbewohnern übernachteten. Probleme bei der sprachlichen Verständigung habe es dabei kaum gegeben. Überliefert ist auch, dass die kurische Sprache zuletzt eine reine Männersprache war, die nur auf den Schiffen gebraucht wurde. Da kurische Männer gerne Frauen aus den anderen baltischen Brudervölkern heirateten, war es üblich, zu Hause die Muttersprache und auf See die Männersprache zu sprechen, die ja letztlich auch eine Fachsprache war. Dass sie zudem auch recht rüde war, belegen etliche kurische Familiennamen.
Ab dem 14. Jh. setzte eine Rückwanderung der kurischen Bevölkerung in die alten Gebiete ein, denn inzwischen hatte sich das Klima gebessert, und die Wildnis konnte wieder besiedelt werden. Die Kuren kamen recht früh, denn als zunehmend Szemaiten und Litauer als Siedler akzeptiert wurden, befanden sich die Kuren zusammen mit den Prußen bereits in priviligierteren rechtlichen Stellungen. Diese „neuen“ Kuren hatten jedoch ihre alte Sprache weitgehend vergessen und sprachen einen lettischen Dialekt. Zudem lebten ab dem 15. Jh. in den alten südkurischen Landschaften nun auch Deutsche, Prußen, Szemaiten und Litauer, so dass sich unter der ländlichen Bevölkerung eine Sprache herausbildete, die lettisch, prußisch und vor allem litauisch geprägt war, sich jedoch in vielen Begriffen vom Litauischen unterschied. Ein wichtiges Bindeglied zur deutschen Kultur war die plattdeutsche Sprache. Dass viele deutsche Wörter übernommen wurden, zeigt das nehrungs-kurische Wörterbuch von Richard Pietsch. Die Landbevölkerung war durchweg mehrsprachig, jedoch beherrschte sie selten die hochdeutsche Sprache, die Sprache des Rechts, der Schulen und der Gottesdienste. So stellte sich die Kirche darauf ein, indem sie je nach Ortschaft deutsch oder litauisch predigen ließ, denn Litauisch war die Sprache, die letztlich alle verstanden und die die Prediger deshalb erlernen konnten, weil sich eine litauische Schriftsprache herausgebildet hatte, während die Sprachen der Kuren und Prußen langsam ausstarben.
Die Kuren galten unter ihren ostpreußischen Mitmenschen schon als eigenartiges Völkchen, das man beäugte und über das man so seine Geschichten erzählte. Ihre Häuser galten als primitiv, hatten sie doch keinen Schornstein, und das Innere der Häuser war dem entsprechend verqualmt. Für ihre Bewohner machte das aber durchaus einen Sinn, wurden doch so im Bodenraum die Netze getrocknet und auch die Fische geräuchert.

Am Meer, am Strande,
an der Ostsee im Sande,
da steht eine Hütte gar lieblich, gar klein.
Da wohnte mein Vater,
was möglich war, tat er,
denn ich war sein einziges Goldvögelein.
Auf Wellen, auf Wogen,
ward´ ich auferzogen,
der schaukelnde Kahn
sollt´ die Wiege mir sein. (altes Lied)
Kurenfischer und Kurenkäne am Horizont

„Groß war ihr Aberglaube“, schreiben mehrere Chronisten, und tatsächlich hatte sich der alte heidnische Glaube bis in das 20. Jh. erhalten und wurde zumindest bei Familienfeiern und im Brauchtum noch praktiziert. Es gab unzählige Seher, Wahrsager, Besprecher, Heilmittelhersteller und Quacksalber. Und man glaubte an die Bedeutung von Träumen. So erzählte mir der hochverehrte Richard Pietsch, der in Funk und Fernsehen als der „letzte Kure“ bezeichnet wird, dass er das New Yorker Unglück des 9. September 2001 vorausgeträumt habe und sehr unter seinen seherischen Fähigkeiten litte. Ich glaube ihm, denn er ist nicht der erste Memelländer, der mir von so etwas fast verschämt berichtete, weil es in unsere heutige rationale Welt nicht so recht hineinpassen will und als esotherisch und spinnerhaft gilt.
Es gab zahlreiche ostpreußische Redensarten, die sich auf die Kuren beziehen. So bezeichneten sich Betrunkene gerne als „von Kuren verhext“, stürmisches Wetter wurde „kurisches Wetter“ genannt, und „Kurischer Kaffee“ war Warmbier mit Schnaps. Mit kurischen Marktfrauen legte sich keine Königsbergerin gerne an, fürchtete sie doch, von ihr verflucht zu werden. Etwas abergläubisch waren die immerhin aufgeklärt tuenden Stadtmenschen doch, um nicht den Geschichten zu glauben, dass die Kuren, wenn sie ihre Marktstände mal kurz verlassen wollten, diese mit einem einzigen Hexenblick derart zu sichern in der Lage waren, dass ein etwaiger Dieb solange angewurzelt stehenbleiben musste, bis der Besitzer zurückkehrte.
Ein Kure sah die Situation allerdings anders: „On wenn man nu heert, de Keenigsberjer Feschwiewer wäre frech on driest, dat wäre nech onse Fescherfruues, dat wäre vielleicht denn de städtsche Kuppelwiewer, de Handelswiewer ute Stadt. Onse Fruues hadde seck fär em Markt scheen trechtjemoakt, se tooge denn frisch jestärkte Röck an on groote schwarte Koppdeeker. On under ehre groote Marktscherz, doa hadde se dat Portmonnee, de Wechseltasch. Joa, on denn wurd da verkofft. Also, eck mott joa segge, de meiste hadde joa Stammkunde, de se all veele, veele Joahre kennte. On eck mott joa segge, de beste Kunde en Keenigsbarch fär de Fescher, dat wäre joa de Jude. De häbbe veel, veel Fesch jejäte.
On wenn denn oawends de Fruues denn wedder tohuus wäre, denn wurd dat Jeld jetellt, on wenn neetich, met dem Partner ook forts jedeelt. On dat wär alles meistens Sach von de Fruues. Joa, de Männer, manchmoal am Sinnoawend wäre se joa ook manchmoal doabi, oaber to segge hadde se doa nuscht!“

Klotzschlorren, im Sommer gingen alle meistenteils barfuß.

Die kurischen Männer werden beschrieben, dass sie fast durchweg bartlos waren und kurzgeschnittene Kopfhaare trugen. In der Regel waren sie mit Jacken oder Jacketts bekleidet, die von weißer oder blauer Wolle gestrickt oder selbstgewirktem Wollstoff hergestellt waren. Dazu trugen sie Drillichhosen und je nach Wetterlage eine Mütze oder einen Südwester. Ging es zum Fischfang, zog man dicke friesähnliche Wandröcke und lange, bis über die Knie reichende Wasserstiefel an. Im Winter trug man Klotzschlorren, im Sommer gingen alle meistenteils barfuß.
Die Frauen trugen langärmlige Blusen unter einem Mieder und dazu gesteifte Röcke, deren Zahl mit dem Wohlstand einer Frau zunahm. Frauen trugen immer ein Kopftuch, Mädchen dagegen nur auf Ausgängen. An Festtagen drapierten sie das Kopftuch um ein Häubchen.

Zu den Fischern gehn wir,
besuchen Fischer,
bei Fischern wollen wir frein.
Wie weich die Händchen
der Fischermädchen,
wie kühl sind ihre Bettchen.
Zu Häupten ein Ruder,
ein Netz zur Seite,
ein Segel zum Bedecken.
(altes litauisches Lied)
Kurenfischer und Kurenkäne am Horizont

Was den Charakter der Kuren betrifft, so wird berichtet, dass sie zäh am Althergebrachten hingen und für Neuerungen, sollten sie noch so zeitgemäß und vorteilhaft für sie sein, fast gänzlich unzugänglich waren. Ein „melancholischer Hauch über ihrem Wesen“ wird mit ihrem immerwährenden Kampf gegen die Elemente, mit ihrer Abgeschlossenheit vom übrigen Leben und mit ihrem Trotz und ihrer scheuen Zurückgezogenheit begründet. Sie werden beschrieben, dass sie in allen Lebensverhältnissen von „strenger Rechtlichkeit“ und „höchst gastfrei“ sind. Andererseits werden sie als unbarmherzig gegen gestrandete Schiffsbrüchige bezeichnet, allerdings das nur hinsichtlich der Schiffsladung. Was an den Strand geworfen wurde, sahen sie als ihr Eigentum an. Die Kuren galten als schwer zugänglich, und es dauerte eine Zeit, bis sie Fremden gegenüber aufgeschlossener wurden. Aber ihre unverwechselbare Physiognomie, der freundliche, offene Blick aus ihren blauen Augen und ihr diskreter Charme machte auf Chronisten einen ebenso sympathischen Eindruck wie ihre offensichtliche Lebenstüchtigkeit.
Es ist nicht so, dass die Kuren nur auf der Nehrung lebten, die für Feldwirtschaft nicht geeignet war. Der Großteil der „Zippel-Kuren“ genannten Bevölkerung lebte um das Haff herum und im Memel-Delta und betrieb Gemüseanbau. Mit ihren Timberkähnen brachten sie Zwiebeln, Kürbisse, Kohl, Bohnenkraut und Porree zum Königsberger Stadthafen, nach Labiau und Tilsit, um ihre Erzeugnisse dort direkt zu vermarkten. Großabnehmer für das Heu, das hochaufgetürmt auf den Kähnen transportiert wurde, war die Heeresverwaltung. Auch die Fischmärkte wurden selbstverständlich über die Wasserwege beschickt.

„On oppem Feschmarkt, denn jinge joa emmer bloß de Frues. Dat wurd ook von de Männer anerkannt, dat Jeld vom Verkoop opp em Markt, dat wär alles bi de Fescherfruu. On de meiste Frues, de moakte dat ook sehr goot. Eck häbb doa von de Männer nie Kloage jeheert. Joa, on de Frues, de fuhre denn meedweeks on vor alle Dinge sinnoawends met em Damper oppem Feschmarkt en Keenigsbarch. On dem Fesch hadde se en Kuppelkärw on Oalkärw all sorteert. Disse Kärw wäre sehr stabil, met em Krommholt oder Peed kunnst twee doavon goot droage. Doa jinge emmer so etwa e halwer Zentner ren. On de Oalkorb, de mott scheen dicht jeflochte sen, de Kuppelkärw, de kenne all loftjer senne. On denn wußte nu all emmer Bescheed. Wieveel Kärw nemmt se hiede met?“
On de dieerste on wertvollste Fesch, dat wär jos denn nu de Oal. De wurd en dree Sorte sorteert: groote, meddlere on kliene. On de andre Fesch, dat wär denn je noa Joahrestied Zander, Schlie, Quappe, Neenooge, Brasse on denn noch so Biefang – dat wurd denn joa ook alles so sorteert. On all opp em Damper hadde de Fruues ehre feste Plätze – de satte därperwies – on denn joa ook oppem Feschmarkt em Marktkeller. Doa wär so e Verkoopsdesch, so veer Meter hadde wi. On oak doa stunde de Feschfruues emmer so noa Därper jetrennt: doa wäre de Temmerbooder, de Peyser, de Heydekröger, de Nautzwinkler on so.“
Fischmarkt in Königsberg

Die Kurischen Fischer bauten ihre Boote selbst. Die Bootstypen wurden nach der charakteristischen Art ihrer Netze benannt: Der Keitel (kidel) ist ein 10 bis 12 Meter langes trichterförmiges Netz, das von nur einem Boot, dem Keitelkahn gezogen wird. Keitelkähne konnten noch bei Windstärke 9 rentabel fischen, Kurrenkähne noch bei Windstärke 8, und selbst bei Orkan war eine Rückkehr noch möglich. Das Kurrennetz war ein dreiwandiges Netz von 240 bis 300 Meter Länge und musste von zwei gleichstarken Segelkähnen mit der Windrichtung geschleppt werden. Da diese Schiffe einer sehr starken Belastung ausgesetzt waren, musste die Stärke des Bauholzes ebenso dick sein wie die eines Keitelkahnes. Die Braddenkähne brauchten nicht so starkes Bauholz, fischten aber auch zu zweit mit einem 180 Meter langen Netz. Alle Haffboote hatten einen Tiefgang von nur 40 Zentimetern. Für die Nachtfischerei waren mehrere Netze in Gebrauch, auch gab es eine große Anzahl spezieller Netze, je nachdem auf welchen Fisch man aus war. Im nördlichen Kurischen Haff war die Reusenfischerei sehr hoch entwickelt.
Das Fischereirecht regelte sehr genau, wann wie mit welchem Garn zu fischen war. Wohl am faszinierendsten war die körperlich außerordentlich anstrengende Eisfischerei. Hier hatte jeder Fischwirt nur das Recht für halbes Wintergarn, so dass er gezwungen war, mit einem Kollegen zusammen zu arbeiten. Außerdem benötigte man sechs bis zehn Gehilfen, zwei Kastenschlitten, sogenannte Waschen, mit aufmontierten Winden sowie zahlreiches Gerät: Eisäxte, Eisstemmen, Eisstecher, diverse Gabeln, Stangenhaken und zwei zusammensteckbare Stangen von etwa 10 Zentimeter dicke und 50 Meter Länge. Die Arbeit begann vor Sonnenaufgang, und das Fangglück bestand darin, dass man auf Fischlager stieß, in denen sich die Fische träge versammelt hatten. Einzelne Fischer arbeiteten weniger aufwendig mit Stellnetzen, andere bevorzugten die Klapperfischerei, die vor dem 1. Weltkrieg eine Zeitlang verboten war, weil sich hier eine Menge nichtberuflicher Fischer betätigten.
Als Zeugnis ostpreußischer Volkskunst werden die aus Holz geschnitzen, gesägten und bunt bemalten Schiffswimpel an den Masten der Keitelkähne betrachtet. Litauische Künstler stellen sie heute wieder auf der Kurischen Nehrung zum Verkauf her. Aber so sehr alt ist diese Kunst noch gar nicht, denn sie wurde erst 1844 von der Regierung in Königsberg für 136 fischereiberechtigte Ortschaften der beiden preußischen Haffe verordnet:
„daß jeder Berechtigte bei Ausübung der Fischerei… auf der Spitze des Mastes eine wenigstens zwei Fuß lange und einen Fuß breite Flagge von derjenigen Farbe, welche der Ortschaft, woselbst er seinen Wohnsitz hat, von der Regierung erteilt worden ist, führen soll.“ Mit dieser Maßnahme sollte die Kontrolle der Fischerei erleichtert werden, weil immer wieder Fischer bei der unberechtigten Ausübung des Fischfangs angetroffen wurden. Wer ohne Ortsflagge fuhr, wurde mit 1 bis 10 Talern Strafe belegt, wer mit falscher Flagge segelte, zahlte zwischen 10 und 50 Talern. Die Orte der Ostküste des Kurischen Haffes fuhren mit rot-weißer Kennzeichnung, die Südküste hatte blau-gelb. Die Orte auf der Kurischen Nehrung führten die Farben schwarz-weiß. Die Ortskennzeichen waren also nur die Grundform, alles andere blieb der Fantasie, der Darstellung des eigenen Wohlstandes, der Selbstdarstellung oder auch nur der Darstellung eigener Wünsche und Träume überlassen. Letztlich hing auch alles vom handwerklichen Geschick eines jeden Fischers ab.

Kurenwimpel

Auf der Spitze wurde oft die Wellengöttin Bangputtis dargestellt. Ebenso beliebt war der Schiffergott Bardoaitis oder Perdoitos, dessen eine Hand Richtung Himmel und dessen andere Hand Richtung Wasser zeigte. Daneben wurden alte heidnische geometrische Ornamente wie Sechsstern und Radkreuz übernommen. Aber unbekümmert daneben wurden auch Häuser, Kirchen, Schiffe, selbst Fahrräder eingefügt.
Ich werde manchmal gefragt, wo die Kuren denn geblieben sind. Nun, die Frage ist ganz einfach zu beantworten: Sie haben sich mit den anderen Einwohnern des nördlichen Samlands, der Elchniederung und des Memellandes vermischt. Auch wenn sie bei Hermann Sudermann und Ernst Wichert „Litauer“ genannt werden, sind sie ebenso zu Ostpreußen geworden wie die Prußen und leben in vielen von uns fort.

Literatur:
Ambrassat, August „Die Provinz Ostpreußen“, Frankfurt/ Main 1912 Gaerte, Wilhelm „Urgeschichte Ostpreussens“, Königsberg 1929 Gimbutas, Marija „Die Balten“, München-Berlin 1983 Lepa, Gerhard (Hrsg) „Die Schalauer“, Tolkemita-Texte Dieburg 1997 Mortensen, Hans und Gertrud „Die Besiedlung des nordöstlichen Ostpreußens bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts“, Leipzig 1938 Tolksdorf, Ulrich „Fischerei und Fischerkultur in Ostpreußen“, Heide/ Holstein 1991 Woede, Hans „Fischer und Fischerei in Ostpreußen“, Leer 1985