Kurenwimpel

Kurenwimpel in Nidda

Wenn man an die „Kurische Nehrung“ denkt, fallen einem als erstes optisches Element die relativ bekannten „Kurenwimpel“ ein. Irgendwie hat man davon schon mal gehört, aber „nichts genaues weiß man nicht…“ Und da meine Vorfahren aus dem Kurischen Haff stammen und mein Urgroßvater sogar noch Fischer im Frischen Haff war, möchte ich etwas darüber schreiben.

Geografie

Geografisch gesehen liegt die Kurische Nehrung im Nordosten Europas und war damals die äußerste Spitze des deutschen Territoriums, soweit man von „deutschen“ Gebiet reden kann. (Ehrlich gesagt, gab es damals noch gar kein Deutschland, so wie wir es kennen…) Der Staat des „deutschen Ordens“ ging in seiner Hochzeit eigentlich noch viel weiter, sogar bis Lettland und grenzte an das Königreich Polen, dem Zarenreich Rußland und dem Großfürstentum Litauen!
Die damals gültige deutsche Grenze zum Norden war eine der ältesten Grenzen Europas, welches z.B. Karten aus 1422 beweisen. Diese wurde nach dem 2. Weltkrieg endgültig verschoben, womit Deutschland ein großes Stück kleiner wurde. Bis zum 20. Jahrhundert, genauer gesagt 1945, ging diese Grenze bis knapp hinter MEMEL, dem heutigen Klaipeda. Ostpreußen lebt noch in vielen Köpfe

Die „Kurische Nehrung“ mit einer Länge von 98km, liegt ganz im Nordenwesten vom damaligen Preußen und hat den Namen von den Erstbesiedlern dieses Gebietes, dem indo-europäischen Baltenstamm, den Kuren. Hier fanden sie schon 2500 vor Christi ideale Bedingungen, da lange Landzungen die raue Ostsee von der Landmasse trennte. Eine Landzunge im Süden und eine im Norden von Königsberg/Kaliningrad aus gesehen. Und diese fischreichen Gebiete nannten sich im Norden „Frische Nehrung“ und im Süden „Kurische Nehrung“.

Schon früh wurde dieses Gebiet natürlich befischt. Der einzige Grund, einige wenige Stämme und Familien dort zu halten. Das ansonsten unwegsame Gebiet war kaum besiedelt und die Bewohner fassten nur langsam Fuß (allen Siedlungs-Bemühungen des deutschen Ordens zum Trotze). Nichtsdestotrotz haben sich im laufe der Zeit immer mehr Menschen dort angesiedelt und Dörfer und Städte gebaut. Und Haupterwerb blieb im Küstenland die Fischerei.

Und die Deutschen sind wären keine richtigen Deutschen, wenn sie die Fischerei nicht reglementieren würden! 😉 Es konnte ja nicht angehen, dass dort jeder fischt, wie er möchte! Außerdem wuchs auch der Konkurrenzdruck. Auch andere Fischer wollten ihr Stück von dem Kuchen haben. Und so erfand man daraufhin die bekannten Kurenwimpel, die anzeigten, WER WO fischen durfte.

Gebietsaufteilung der Fischer und deren Kurenwimpel

Erst 1844 wurde von der Regierung in Königsberg für 136 fischereiberechtigte Ortschaften der beiden preußischen Haffe verordnet, „daß jeder Berechtigte bei Ausübung der Fischerei… auf der Spitze des Mastes eine wenigstens zwei Fuß lange und einen Fuß breite Flagge von derjenigen Farbe, welche der Ortschaft, woselbst er seinen Wohnsitz hat, von der Regierung erteilt worden ist, führen soll.“ Mit dieser Maßnahme sollte die Kontrolle der Fischerei erleichtert werden, weil immer wieder Fischer bei der unberechtigten Ausübung des Fischfangs angetroffen wurden. Wer ohne Ortsflagge fuhr, wurde mit 1 bis 10 Talern Strafe belegt, wer mit falscher Flagge segelte, zahlte zwischen 10 und 50 Talern. Die Orte der Ostküste des Kurischen Haffes fuhren mit rot-weißer Kennzeichnung, die Südküste (frisches Haff) hatte Blau-Gelb. Die Orte auf der Kurischen Nehrung führten die Farben Schwarz-Weiß. Heute sind Kurenwimpel ein beliebtes Touristensouvenir für Besucher insbesondere der litauischen Seite des Kurischen Haffs. (Quelle: Wikipedia)

Die Haffischerei sollte kontrolliert werden, um der Verminderung des Bestandes entgegenzuwirken. Es war nun möglich, Fischer, die sich unerlaubter Fangmethoden bedienten, zu identifizieren. Ab etwa 1870 bekamen die kurischen Wimpel eine reiche Verzierung. An langen Winterabenden schnitzten die Fischer die Motive: Elche, Häuser, Kirchen, Wasser, Dünen, einen Leuchtturm oder auch die Sonne.

Details eines Kurenwimpels

Der Wimpel, der um die Mastspitze drehbar ist, besteht aus Holz und Blech. Er diente zugleich als Windrichtungsanzeiger. Jeder Ort hatte verschiedene Symbole. Schon ab 1877 mußte der Heimatort weit sichtbar auf dem Segel angebracht werden. Doch die Kurenkahnwimpel bestanden weiter. 1929 gab es etwa 450 wimpelführende Fischerkähne auf dem Haff, 1945 fand dieser Brauch ein jähes Ende…

In der Sowjetzeit setzte sich mit Gründung der Kolchosen die industrielle Fischerei durch. Außerdem konnten die neuen Bewohner der Nehrung mit den Kurenkähnen schwer umgehen. So senkten Motorkutter ihre Netze in das Haff, aus Japan führte man riesige Schleppnetze ein, mit denen man anfangs im fischreichen Haff große Beute machte. Doch damit begann der Raubbau. Obwohl heute das Fischen von April bis September verboten ist, gibt es auf der Nehrung überall – auch im Sommer – frischen Fisch zu kaufen.

Und diese beliebten Kurenwimpel möchte ich hier vorstellen. Heutzutage kann man diese und deren Nachbauten z.B. in Nidda (Litauen) am Kurischen Haff kaufen. Auch Bastelkurse für Einheimische oder Touristen findet man in vielen Städten. Und viele Touristenbüros haben diese bunten Kleinode als Modell im Angebot. Zusammen mit dem Überhall erhältlichen Bernstein ein touristisches Highlight. Und dieser Wimpel wurden an den Fischerbooten im Haff angebracht, den Kurenkähnen. Die Kurenwimpel dienten nur nebenbei zur Feststellung der Windrichtung, sondern als Erkennungszeichen des Herkunftsortes und des Fischers. Als letztere wurden sie zunehmend farbig und durch Schnitzereien (Adler, Anker, Elch, Herz, Radkreuz, Schiff) ausgeschmückt und „erzählen“ in Bildern ganze Geschichten über die Familie des Eigentümers.

Kurenkahn aus Nidden

Der Kurenkahn ist ein ca. 12 m langes Holzboot, typisch für seine Form sind der hochgezogene Bug und eine nach hinten abschwingende Seitenlinie. Besonderheit ist aber der flache Bootsboden, der mit einem Tiefgang von ca. 40 cm zum einen das Befahren seichter Stellen im Haff zum anderen auch das problemlose Transportieren zum Beispiel von Vieh, Holz und Heu.

Für den Kurenkahn wird auch der Begriff „Keitelkahn“ verwendet. Die unterschiedliche Bezeichnung weist jedoch auf die jeweils verwendete Fangart hin, die sich auch bei gleichem Bootstyp mit der Jahreszeit ändern konnte. Kurenkähne verwendeten das Kur(r)ennetz, ein dreiwandiges Zugnetz mit einer Länge von ca. 250 m, das von zwei Booten ausgebracht wurde. Keitelkähne fischten mit dem Keitel – einem trichterförmigen Schleppnetz – das unter Umständen größere und mit stärkerer Segelkraft ausgestattete Boote erforderte.

Heute gibt es auf dem Kurischen Haff im litauischen Teil einige wenige Kurenkähne als Ausflugsboote für Touristen. Im russischen Teil ist die Tradition vollends ausgestorben. Die Russen haben nach Übernahme des Gebiets alles deutsche vernichtet.

Original Kurenkahn in Nidden vor dem Museum

Doch wie sieht ein Kurenwimpel im Detail aus und wie ist er aufgebaut?

Fangen wir mit dem Mast an. Es ist nicht nur ein einfacher Stab, auf dem der Wimpel angebracht is, sonder ein ebenso schön verzierter Teil des Ganzen. Der sogenannte Spieß beeinhaltet oft das Stadt/Gebietswappen oder natürlich auch private Motive.

Wichtigstes Teil ist natürlich der Schild mit den Farben des Heimathafens. Das ist natürlich die Hauptfunktion des Wimpels. Hier wird angezeigt, woher der Fischer kommt und ob er überhaupt berechtigt ist, in dem jeweiligen Gebiet zu fischen. Die Grundform des Schildes sieht folgendermaßen aus:

Der Wimpel an der Spitze des Mastes ist in fünf Abschnitte gegliedert, wobei der erste zum Bug zeigt, der zweite auf dem Mast steht und die letzten drei Teile zum Heck gerichtet sind.

Schematischer Aufbau des Kurenwimpels

(zum Bug zeigend) Symbole der Elementarkräfte: Mond (kleine Raute), Sonne (große Raute) und Windbänder symbolisieren die Himmelskörper. „Damit diese Kräfte dem Fischer günstig seien, fügt er sein Symbol der Hoffnung und des friedlichen Zusammenlebens hinzu, ein Kreuz im Quadrat. Das Quadrat und das Kreuz zeugen von der Wechselwirkung der Religionen, der alten heidnischen und der heutigen christlichen.“ Der obere Teil des Wimpels zeigt ein Symbol des Wohlstands. Er verweist darauf, was der Fischer besitzt, z.B. sein Haus, sein Vieh. Hier ist auch der Ort zur Darstellung von Dorfansichten. (auf der Mastspitze) Symbol des Glaubens: Alte und neue Götter schützen den Besitz des Fischers und seiner Familie. Häufig zu finden ist die Darstellung des Wellengottes Bangputtis, dessen eine Hand zum Himmel und dessen andere Hand auf die Wellen zeigt. Was aussieht wie eine Harfe oder Lyra sind symbolisierte Schlangen, die für die Erdgöttin stehen. Eingearbeitet wird oft ein Kreuz. Ein Kleeblatt steht für Erfolg und Glück. Symbol der Familie: das nach oben herausragende Kreuz zeigt, dass der Fischer die Achtung seiner Familie genießt. Ein Kreuzchen von einem Kreis umgeben stellt die Ehefrau dar, am Rand werden die Kinder symbolisiert. Besitz: Ein T zeigt einen Kurenkahn an, nach unten offene Dreiecke zeigen die Anzahl von sonstigen Boote an. Hier werden auch andere irdische Errungenschaften (oder Träume) dargestellt wie ein Fahrrad oder ein großes Haus. Arbeit: Die Anzahl der Helfer wird durch Löcher in der Mütze des Fischers dargestellt. Handelt es sich um einen Verwandten, dann wird es durch eine Abzweigung vom Kreuzlein

Unter den Teilen 3. und 4. befindet sich waagerecht das hölzerne Schild mit den Farben des Heimathafens. Unter Teil 5. flattert der Wimpel. Alle Schilde mit den Ortskennungen sind waagerechte Rechtecke.

Kommen wir zum wichtigsten Teil, die Herkunftsfarben.

Die Hauptfarben waren wie Oben schon beschrieben ROT-WEISS, SCHWARZ-WEISS und BLAU-GELB. Alleine daran konnte man schon grob die Herkunft erkennen. ROT-WEISS für die Fischer des Kurischen Haffs, SCHWARZ-WEISS die Fischer der Nehrung und BLAU-GELB zierten die Boote des Frischen Haffs.

Mein Urgroßvater mütterlicherseits, den ich als Kind sogar noch kennenlernen durfte war seinerzeit Fischer in Großheydekrug, also Samland. Er nutzte sicherlich das Symbol 28 für „Fischerbude“, dem nächstgelegenen Ort.

Die Form der Wimpel unterschieden sich ebenfalls und war in einem gewissen Rahmen vorgeschrieben. So gab es verschiedene Formen der „Schere“, also dem unteren Teil des Kurenwimpels. Standartmäßig war er gerade und wird auch so in den meisten Darstellungen gezeigt. Dieses ist die Grundform, in der auch die Herkunftsfarben als Schild gezeigt werden. Am Flügel wiederholen sich dort die Farben des Schildes.

Aber im Laufe der Zeit änderte sich das Desing und das Ortszeichen wurde als Fahne angebracht, wobei die Schere nach Unten gebogen wurde. Das Schild entfiel.

Und dann noch die Darstellung als gemischtes Design mit Schild und Fahne, wobei die Fahne eigenen Farben bekam, wie rechts zu sehen.

Bei 450 Kurenkänen, die um 1930 fast täglich auf dem Wasser waren, kommen natürlich eine Menge an verschiedenen und wunderschön gestalteten Kurenwimpeln vor. Der Phantasie sind bekanntermaßen keine Grenzen gesetzt.

Wimpelschnitzer aus Nida

Links sieht man einen Wimpelschnitzer aus Nidden. Wahrscheinlich wurden diese von den Fischern in den langen Wintermonaten selbst hergestellt. Aber wer die nötige Feinmotirik nicht hatte, fand sicher einen begabten „Kollegen“, der das übernahm.
Es gab auch wunderschöne Wimpel mit angenähten Fransen oder Stoffkügelchen (siehe weiter Unten). Die Dekorationen betrafen nicht allein die Schitzereien. So konnte auch die Frau des Hauses ihren Teil beitragen.

Die alte Fischerstadt Ruß gedenkt den Kurenkähnen mit einem Objekt. Im Wappen der Kahn und die Farben.

Heute gibt es zahlreiche Vereine und Kurse in Litauen, die sich der Wimpelschnitzerei widmen. Ein immer beliebter werdendes Hobby für Touristen und Einheimische. Ein schönes Dekorationselement! Als Wandelement in Originalgröße oder als Kühlschrankmagnet – es finden sich viele Spielarten. Und das Basteln ist gar nicht so schwer. Es gibt meines Wissens Anlaufstellen in Nidden und Silute (Heydekrug) oder Kaipeda. Die örtlichen Touristenbüros können bei Interesse sicherlich weiterhelfen.

Wimpelschnitzen in Klaipeda
Wimpel in Originalgröße als Präsent bei einer Veranstaltung in Klaipeda
Dekoration in Kintai

Es ist schwer, die Symbole zu deuten, da die Verfasser/Erfinder natürlich ihren Ideen freien Lauf ließen. Deshalb gibt es auch keine eindeutigen Vorlagemuster, denn Jeder machte sein eigenes Ding. Hauptsache, die gesetzlichen Vorgaben wurden eingehalten. Damit ist vor dem 1. Weltkrieg die Länge mit ca. 115cm (mit Fähnchen bis zu 220cm) und Höhe mit 40-45cm vorgegeben. Nach dem ersten Weltkrieg wurde schon nach verschiedenen Maßen produziert.

Zum Schluss eine Auswahl von vielen Wimpeln aus den 1910er bis 30er Jahren. Natürlich keine Originalwimpel, sondern Konzept- bzw Nachzeichnungen von vorhandenen Exemplaren.

Hier kommt noch ein wenig Farbe ins Spiel… Wie man sieht, sind die Möglichkeiten unendlich und nur durch die Phantasie beschränkt.

Vielleicht hat der Ein oder Andere Lust bekommen, so einen Kurenwimpel nachzubauen? Im privaten ist man auch nicht auf die vorgegebenen Farben beschränkt. Und was hindert einem daran, auch modernere Formen wie Firmenlogos o.ä. zu verwenden? Auch ein Apple-Logo oder Mercedes-Stern passt auf so einem Wimpel. 😉 Da wünsche ich schon mal viel Spaß und würde mich über eine Zusendung eines Fotos freuen! Das Bild würde ich auch gerne hier veröffentlichen.